Der Berg ruft

Boris ist da, Sarastro wird verfilmt, Sachs wartet: René Pape ist längst ein Weltstar in der Oper. Er liebt das Leben, aber er ist auch ein bescheidener, gewissenhafter Künstler, der sich immer wieder selbst in Zweifel zieht.

Weltstar. Das klingt groß. Ist es auch. René Pape ist ein Weltstar. Doch man muß es relativieren. René Pape ist ein Weltstar der Oper. Und er singt Baß. Butterweich, voluminös, gerundet, mit einem herrlichen, in den letzten Jahren sanft nachgedunkelten Timbre. Aber er ist kein Sopran und kein Tenor, nicht einmal einer der im Augenblick so beliebten Mezzos. Und Oper ist eben nicht Fußball und nicht Hollywood.

Was dem 41jährigen Dresdner mit der stilsicher leeren Dachwohnung in Berlin-Mitte ganz recht ist. Denn René Pape, das sind eigentlich zwei Menschen. In der Kunst muß das fast so sein. Der eine ist süchtig nach Applaus, läßt auf der Bühne – natürlich im Dienst der Rolle – gern die Sau raus, ist ein Meister der darstellerischen wie stimmlichen Verwandlung. Pape liebt es, wenn das Publikum einem besonders tiefen oder hohen Ton, einem balsamisch strömenden Legatobogen magisch folgt – auch wenn er im Nacktheit ziemlich gut vortäuschenden Ganzkörperanzug als ziemlich lüsternen Méphistophélès die Metropolitan Opera zum Rasen bringt. Dieser eine mag es, wenn sich nach der Vorstellung die Mädels um seine sehr, sehr lange Kerlsgestalt scharren. Dann glitzern seine Augen verräterisch, dann streichelt er sich den sorgsam ausrasierten Bart.

Dieser eine raucht gern, trinkt gern, macht öfter mal die Nacht zum Tag. Irgendwo müssen ja auch Energien abgelassen werden, braucht jeder ein Druckventil. Dieser einer ist ein Fashionista, dem man freilich, wenn man ihn besser kennt, in seinen lila oder grünen Jeans, dem blauen Pucci-Hemd, dem Gucci-Smoking, den superspitzen Schuhen und der noch supercooleren Sonnenbrille immer auch den selbstironischen Spaß an der Verkleidung ansieht: Mega-Baß in Black.

Der andere René Pape aber, das ist ein zurückgezogener, sehr selbstkritischer, introvertierter, sensibler, sich regelmäßig in Zweifel ziehender Mensch. Dem ein Rollendebüt wie jetzt der Boris Godunov an der Berliner Lindenoper sehr viel bedeutet. Schließlich gilt es hier eine illustre Vorgängerreihe fortzusetzen. „Boris ist nicht der Gipfel für mich, aber schon ein sehr hoher Berg“, sagt dieser Pape. Den gilt es gut vorzubereiten, skrupulös zu bewältigen. Dieser Pape ist seinen bei der Ex-Frau in Dresden lebenden 16- und 12jährigen Söhnen ein liebevoller Vater. Dieser Pape ist treu, deshalb hört man ihn regelmäßig an seinen beiden nur durch einen Ozean getrennten Stammhäusern, der Lindenoper und der Met.

Dieser Pape ist froh, wenn er nicht auf Schritt und Tritt von Paparazzi begleitet wird, wenn er unerkannt im Gedränge mit sich und seinen Rollengedanken untertauchen kann. An diesem Pape nagt es dennoch, daß er trotz seiner einzigartigen Edelstimme nie in die Popularitätsregionen einer Netrebko oder eines Villazón vorstoßen kann. Doch warum eigentlich nicht? René Pape ist der beste, der jüngste, der modischste Baß von Weltklasse. Mit einer blühenden Karriere.

Ein Bühnentier, ein schlagfertiger, witziger, warmherziger, zartfühlender Kerl von einem Mann. Einer, der mit 27 bereits in Salzburg den Sarastro gesungen hat und ein Jahr später erstmals den König Philipp in Verdis „Don Carlo“. Pape ist ein ungemein ernsthafter Künstler, mit Rollen im deutschen, italienischen, französischen, nun auch russischen Fach, aber Scheuklappen kennt er keine. Er hat einen (geschmacklich ein wenig zweifelhaften) Zyklus mit Klassikpopsongs auf Rammstein-Texte eingespielt, ist eben auch für ein Fernsehporträt mit der Dresdner Rockband „Freunde der italienischen Oper“ im Studio gestanden, singt in Liederabenden – die er jetzt endlich regelmäßig geben will – Schubert genauso überzeugend wie „Oh, what a beautiful mornin'“ von Rodgers/Hammerstein und ein ungemein theatralisches „Ella giammai m’amò!…“ aus „Don Carlo“. Er hat eben beim ersten Konzert in der wiedereröffneten Dresdner Frauenkirche Beethovens Missa Solemnis gesungen und er beginnt im Januar mit den Dreharbeiten für Kenneth Branaghs „Zauberflöte“, wo er Sarastro im Ersten Weltkrieg spielt.

Letztes Jahr, bei seinem Rollendebüt als Gurnemanz im neuen Berliner „Parsifal“, auch so einer der Fixpunkte in einer Baßkarriere, wohl der langlebigste, den man bis ins hohe Alter singen kann, da hat ihn kaum einer beachtet. Da galt der ganze Media-Hype dem peinlichen Regiedebüt von Bernd Eichinger. Das hat René Pape schon gewurmt. Jetzt aber steht er – zumal in der fast frauenlosen Urfassung – ganz allein im Rampenlicht. Und keine Pelzkappe, kein Rauschebart wird ihn in dieser zeitgemäßen Inszenierung über einen russischen Potentaten schützen können. „Vor dem Boris habe ich schon Bammel. Deshalb habe ich ihn lange reifen lassen“, sagt Pape. Aber verrückt macht er sich nicht. Obwohl er ganz konzentriert ist. Ein junger, alerter Machtmacho, kein dröhnend orgelnder Kleiderschrank. Obwohl Pape ordentlich aufdrehen kann, wenn er will.

René Pape war 25 Jahre alt, als die Mauer fiel, seit 1988 war er an der Lindenoper engagiert, als Reisekader war er beschlossene Sache. Er hätte seine Karriere auch so gemacht, doch der Weg war leichter, es ging schneller. Bässe sind naturgemäß ausgeglichen. Ihre Stimmlage ist die natürlichste, aber sie sind auch schöne, leicht verletzliche Seelen. René Pape muß sich jetzt wohl bald eine Rolle vornehmen, die all diese Eigenschaften vereint und auf die alle warten: Wagners Hans Sachs.

Staatsoper, Unter den Linden 7, Mitte. Tel.: 20 35 45 55. Premiere „Boris Godunov“: 11. 12., 19 Uhr.

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Butterweich, voluminös, gerundet, mit einem herrlichen, in den letzten Jahren sanft nachgedunkelten Timbre."

– Manuel Brug, Berliner Morgenpost